Ein Interview mit Filmkritikerin Sonja Hartl
Filmkritiken schreiben, das sei „unglaublich viel Arbeit, unglaublich viel beanspruchte Zeit und unglaublich viel Spaß“. Das meint zumindest Sonja Hartl, die wir von Baltic Cultures während der 59. Nordischen Filmtage in Lübeck getroffen haben.
Sonja Hartl studierte Deutsche Sprache und Literatur, Medienwissenschaft sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Heute arbeitet sie als freie Literatur- und Filmkritikerin und schreibt unter anderem für www.kino-zeit.de. Um in der Branche Fuß zu fassen, seien unaufhörliches Schreiben, Festivalbesuche und soziale Medien unabdingbar. Gerade Twitter habe ihr geholfen, um Kontakte zu knüpfen, bekannter zu werden und schließlich Anfragen zu bekommen.
Ihr Fokus liegt auf skandinavischen Filmen, die sie für den deutschen Markt kritisiert. Die Vorliebe für Filme aus dem Norden rührt nicht nur von der Begeisterung für Krimis her, sondern Sonja Hartl fasziniert sich für „Skandinavien an sich“ und wird geprägt durch eine „ambivalente Beziehung zu Lars von Trier“.
Vom Schreiben könne man nur schlecht leben. „Filmkritik ist nicht tot, wohl aber die Stelle des gut bezahlten Filmkritikers“. Filmkritiken seien aber von gesellschaftlicher Relevanz, da wir sonst bloß zu Konsumenten werden würden.
Einen Film als bloße Unterhaltung und ohne Wertung und Interpretation könne sie nicht (mehr) sehen. Sonja Hartl schätzt sich selbst als grundsätzlich kritischen Menschen ein: „Ich bin relativ hart als Filmkritikerin. Das macht es nicht unbedingt leichter, aber ich denke mir ‚einer muss ja‘“. Gnadenlos sei sie gerade bei halbherzigen Umsetzungen, da die in der Regel auf Faulheit der Filmschaffenden zurück zu führen seien.
Um keine Beeinflussung von außerhalb zu haben, versucht sie selbst stets mit möglichst wenig Vorwissen einen Film zu betrachten und sich vorab keine Trailer oder Ähnliches anzusehen. Mal bildet sie sich ihr Urteil noch beim Abspann, mal über einige Tage hinweg. Kritiken zum gleichen Film liest sie sich erst nach der eigenen Veröffentlichung durch.
Eine Filmkritik könne auch rein positiv sein. Aber mittelmäßige und schlechte Filme seien wichtig, um gute Filme erkennen zu können. Mit dem Schreiben von Kritiken von mittelmäßigen Filmen hadere sie am meisten, meint Sonja Hartl, manchmal könne man einfach wenig sagen. Eine Filmkritik sei immer gleichbedeutend mit der subjektiven Meinung des Kritisierenden. Das Ziel dabei sei nicht, alle zufrieden zu stellen. Das sei sowieso nicht möglich. Vielmehr soll eine gelungene Kritik Eindruck über den Film vermitteln und eine Interpretation des Films darstellen.
Aber eine gelungene Kritik, was macht diese aus? Sonja Hartl rät uns vor allem einen Film zum Kritisieren auszuwählen, der etwas in einem selbst auslöst – sei es gut oder schlecht. Diese Gefühle kann man dann beim Schreiben abarbeiten und den Ursprung analysieren. Auch sei Wut ganz gut zum Schreiben, „weil der Film dann was mit dir gemacht hat“. Sie selber beginne Kritiken gerne mit Zitaten aus dem Film, wichtig sei aber, dass es bei Filmkritiken kein „richtig oder falsch“ oder eine vorgegebene Struktur gebe. Beim Schreibstil und Aufbau sich also nicht einreden lassen, dass Kritiken nur so und nicht anders sein dürften. Dafür sei die Faktenkontrolle nicht dehnbar. Inhalte wie etwa Namen von Schauspieler*innen müssen schlichtweg gut recherchiert sein und stimmen. Beim Schreiben könne man sich außerdem gut an Details festhalten. Dass etwas besonders aufgefallen ist (z. B. Musik, Kameraeinstellung, ein unerwarteter Plottwist) macht einen Film aus. Und das nachvollziehbare Begründen des „Wie“ und dem Analysieren des „Warum“ ergibt eine gute Filmkritik.
Und vielleicht macht das Schreiben dann ja vor allem „unglaublich viel Spaß“.
Exkursionsteilnehmer*innen der Universität Greifswald bei den 59. Nordischen Filmtagen in Lübeck werden Kritiken zu gesehenen Filmen verfassen, die in den nächsten Wochen hier auf dem Blog veröffentlicht werden.